Mathematica - Nicht mehr im Angebot
Eine Stellungnahme
 

Stand: 30. August 2010

Wolfram Reserach teilt uns in einem kurzen Telefonat und einem nicht minder kurzen Schreiben am 23. Juli 2010 die Kündigung des Vertriebsvertrags mit. Begründet wird der Schritt mit einer "Neustrukturierung des deutschen Marktes". Unter "Neustrukturierung" versteht man offensichtlich eine Monopolisierung auf einen einzigen Anbieter, da wir nicht die einzigen von einer Kündigung betroffenen Fachhändler sind.

Wir werden daher die Produkte dieser Firma mit Wirkung vom 21.10.2010 nicht mehr verkaufen.

Wir bedauern diese Zerstörung unserer Mathematica Geschäftsbereiche.

Wir - und da sind wir nicht die Einzigen - sind zwar von Wolfram einseitige und stille Entscheidungen gewöhnt, hätten aber erwartet, daß man zumindest eine Kündigung mit uns diskutiert. Daß Wolfram es nicht für nötig hält, zumindest diesen Schritt nach 21 Jahren Vertriebstätigkeit mit uns oder den anderen Fachhändlern im Ansatz zu besprechen, ist enttäuschend.

Inwieweit die Konzentration auf einen Anbieter für die Kunden von Vorteil ist, haben Volkswirte schon beantwortet. Zu günstigeren Preisen wird dies nicht führen. Ob der Monopolist obendrein den Kunden den gleichen Service zu bieten vermag wie frühere Wettbewerber und dies überhaupt will, bezweifeln wir. Wir sind daher überzeugt, daß dieser Schritt Wolframs für die Kunden von Nachteil ist.

Selbst für Wolfram dürfte die Kündigung nicht zu einer Umsatzsteigerung führen, da man den Umsatz nur durch Verlagerung auf einen anderen Anbieter nicht steigern kann. Da der Monopolist billiger bei Wolfram einkauft als wir, wird Wolfram obendrein geringeren Profit machen. Wir sehen also keinen Vorteil Wolframs durch die Kündigung. Außer dem einen fragwürdigen, daß man sich nicht mehr mit umsatzschwächeren Mathematica Fachhändlern präsentieren muß, deren mitunter 21-jähriges Engagement man aber gerne zum Aufbau des Marktes in Anspruch genommen hat. Aber da unsere Umsatzgröße für viele Großunternehmen, die wir auch beliefern, irrelevant ist, sondern wohl eher Beständigkeit, Zuverlässigkeit, Service und Preis zählen, sehen wir eigentlich keine Gründe, warum wir nicht als Repräsentant dienen können.

Zugegeben, man kann uns vorwerfen, daß unser kleinerer Umsatz auf eine fehlende Vertriebsaggressivität zurückzuführen ist. Es ist leider wahr, daß nicht nur Wolfram, sondern auch die andere große amerikanische Firma, deren Produkte wir vertreiben, uns immer wieder zu aggressivem Marketing und Vertrieb drängen, wir jedoch eine gewisse Renitenz zeigen, dem nachzugeben. Aggressives Marketing ist nicht unser Stil und wird es nie sein. Permanentes Bedrängen, unerwünschte Anrufe, intrigante Penetration über Dritte etc. sind nicht die Mittel unseres Vertriebs.

Vielleicht ist man bei Wolfram der Meinung, daß durch gefügigere Fachhändler der Umsatz zu steigern ist. Das glauben wir jedoch nicht. Wir sind davon überzeugt, daß vor allem ein gutes und bezahlbares Produkt, das den Kunden nutzt, das ausschlaggebende Kriterium ist. Leider hat Wolfram hier in der Vergangenheit immer wieder versagt. Erst vor einem Jahr wurde mit viel Tam-Tam WolframAlpha als "A new paradigm for using computers and the web" von Stephen Wolfram angepriesen - und fristet nun ein Nischendasein. Desgleichen NKS - A New Kind of Science, das Stephen Wolfram vor Jahren mit nicht geringerem Anspruch vorstellte. Die Einstellung des Vertriebs der erfolglosen Produkte CalculationCenter und Publicon, die magere Verbreitung von gridMathematica und webMathematica sprechen eine deutlichere Sprache. Unsere Verkaufszahlen der Mathematica AddOns sind seit Jahren durchweg als mickrig zu bezeichnen. Unser Umsatz mit Wolfram bestand zu mehr als 98% aus Mathematica Verkäufen.
Mathematica wird seit Beginn der 1990er Jahren eine zu "akademische" Ausrichtung vorgeworfen. Wir Fachhändler haben immer wieder auf die mangelhafte Unterstützung von Ingenieuren und Naturwissenschaftlern bei ihrem täglichen Gebrauch hingewiesen. Mathematica liefert lediglich das Grundwerkzeug der "Höheren Mathematik". Den Rest muß man sich eigentlich immer selbst programmieren. Das Konkurrenzprodukt Matlab hat sich der industriellen Klientel schon frühzeitig gewidmet und beherrscht den Markt aufgrund der vielen praxisbezogenen AddOns. Selbst MathCAD scheint bei Ingenieuren besser anzukommen als Mathematica. Wolfram wird durch die "veränderte Vertriebsstruktur" daran nichts ändern können. Auch die nächste Mathematica Version wird wieder viele clevere Neuerungen bringen. Nur brauchen sie wieder die wenigsten Kunden. Und die meisten, die Mathematica bereits besitzen, sparen sich das Update. Das dem so ist, beweisen die zahlreichen Updateaktionen zu Sonderpreisen, die wir in den letzten Jahren durchgeführt haben. Trotz mitunter 70%-iger Preisnachlässe, sind die Verkaufszahlen dürftig. Die meisten Kunden wollen diese Updates offensichtlich nicht. Sie scheinen an den Bedürfnissen des großen Marktes vorbei produziert zu sein. Mathematica ist ein Produkt für Spezialisten und wird es bleiben. Und wir sind und waren in der Lage, diese Spezialisten anzusprechen.
Man hat durch völlig überzogene Preise versäumt, Mathematica in die Schulen zu tragen und so für eine Marktdurchdringung und hohen Bekanntheitsgrad zu sorgen. Argumente, die bereits in den 1990er Jahren von Fachhändlern vorgetragen wurden, aber nie gehört wurden. Das "Vertriebsmodell" für die Studentenversion führte dazu, daß wir Fachhändler es vorzogen, sie lieber nicht zu verkaufen. 20 Jahre hat es gebraucht, bis man bei Wolfram begriffen hat, daß man einem "Hobbymathematiker" Mathematica nicht für €3185 + MWSt. verkaufen kann. Als es dann soweit war und man die Home Edition für etwa ein Zehntel anbot, publizierten wir dies prompt und wurden sofort "zurückgepfiffen" und aufgefordert, weitere Veröffentlichungen zu unterlassen! Vermutlich fürchtete man, daß die Leute es tatsächlich kaufen, anstelle der wesentlich teureren Professional Edition. Warum man es dann überhaupt anbot, haben wir dann nicht mehr begriffen.

Diese Ignoranz gegenüber den Kunden und den Fachhändlern zieht sich seit Anbeginn wie ein roter Faden durch die Firmengeschichte Wolframs. Obendrein paart sie sich mit Unverschämtheit. Seit mehr als einem Jahrzehnt verkauft Wolfram Mathematica in der EU mit mehr als 25% Aufpreis gegenüber dem Preis, den sie Kunden in USA & Kanada abverlangt. Bspw. beträgt in der EU der Listenpreis einer Einzelplatzlizenz €3185 o.MWSt. während dieser Beitrag geschrieben wird. In den USA werden dafür $2495 verlangt. Das sind bei 1.30$/€ ca. €1920, also fast 40% weniger! Es gibt bis heute keinen plausiblen Grund, warum Europäer und Deutsche derart behandelt werden. Außer dem einen, den alle kennen. Wenn nicht, fragen Sie doch mal selbst nach und lassen sich ein Märchen erzählen: info@wolfram.co.uk

Es ist bitter zu sehen, daß eine Firma, die es versteht ein einzigartiges Produkt zu produzieren, das ein hohes Maß an mathematischem Wissen und Intelligenz widerspiegelt, mit einem europäischen Vertrieb geschlagen ist (der übrigens von Stephen Wolfram's Bruder Conrad geleitet wird), der jahrelang kapitale Marketingfehler begeht und diese nun noch mit dem Rauswurf von einigen Fachhändlern krönt. Wir haben zwanzig Jahre lang eine solide Kundenbasis aufgebaut und abertausende von Interessenten jährlich über Mathematica unterrichtet. Es ist für uns nach wie vor unfaßbar, daß man diesen gut funktionierenden und profitablen Vertriebskanal schließt.

Wir sind nun leider Opfer einer Ignoranz, die ihresgleichen sucht. Wir hätten Wolfram Research sicher genügend Gründe liefern können, die die sogenannte "Neustrukturierung" völlig in Frage gestellt hätten. Leider wird dies nichts mehr an der völligen Zerstörung unserer Mathematica Geschäftsbereiche ändern.